Der Flügelpeter

Leseproben


Inhaltsverzeichnis:
Sonnenaufgang
Der Lämmergeier
Ein neuer Freund
Teepause
Der Flügelpeter badet
Der Traum
Eine Schlange fällt vom Himmel
Abschied vom Schäfertal
Suche nach dem verborgenen Tal
Der Kampf mit der Spinne
Ankunft im Tal der Flügelwesen
Wiedersehen mit Lina
Mut tut gut
Rückkehr ins Schäfertal

Wie jeden Morgen wurde Flügelpeter von den ersten Sonnenstrahlen in seiner kleinen Nase gekitzelt. Er wachte auf, schlüpfte aus seinem Bett und setzte sich an den Rand der Höhle, um auch an diesem Tag den Sonnenaufgang anzuschauen. Langsam tauchte der rote Sonnenball aus dem Meer, stieg höher und strahlte Flügelpeter entgegen. Peter saß ganz ruhig im Schneidersitz. Er schaute mit einem Lächeln in die Ferne, denn er freute sich auf den Tag. Dann stand er auf, ging zu der Quelle, die an der rechten Seite der Höhlenwand aus dem Fels in ein kleines Steinbecken sprudelte, trank einen Schluck Wasser und wusch sein Gesicht. "Hunger!", rief er laut, dass es in der Höhle schallte, nahm seinen Henkeleimer und summte mit seinen Flügeln. Schnell wie eine Biene flog er aus der Höhle heraus in Richtung des Flusses und der Wiesen, denn dort unten wohnte sein Freund, der Schäfer Leonidas, mit seinem Hund und den Schafen. "Wo hat er sich heute nur wieder versteckt?", fragte sich Flügelpeter. Dann entdeckte er auf den Weiden neben dem großen Olivenwald viele weiße Punkte. "Da sind sie ja, die Schafe, dann kann der Schäfer auch nicht weit sein!", dachte Flügelpeter und machte einen kleinen Sturzflug in Richtung der Schafherde. Er entdeckte Leonidas unter einem Olivenbaum und flog mehrere Kreise um ihn herum. "Da bist du ja, mein kleiner Frühaufsteher!", rief der Schäfer nach oben. "Ist dir der Joghurt ausgegangen oder warum kommst du mich jetzt schon besuchen?", fragte er seinen geflügelten Freund. "Na, das siehst du doch an meinem Henkeleimer, dass ich keinen Joghurt mehr habe!", lachte Flügelpeter und landete sanft neben dem Schäfer. Sie nahmen sich wie immer zur Begrüßung in die Arme, drückten sich kräftig und gaben sich einen Kuss auf beide Wangen. "Setz dich an meine Seite und lass uns ein wenig miteinander reden!", forderte Leonidas ihn auf. "Was gibt es denn für Neuigkeiten?", fragte Peter. "Oh, eine ganze Menge!", brummte der Schäfer. "Stell dir vor, was heute Nacht passiert ist. Mein Mutterschaf Carissa hat zwei Lämmchen geworfen!" "Zwei frisch geborene Lämmchen, wie schön, ich möchte sie gerne ansehen!", rief Flügelpeter. Sie standen auf. Der Schäfer ging voraus und führte Flügelpeter durch den Olivenhain zu einem alten knorrigen Olivenbaum. Dort lagen in einer Wurzelkuhle neben dem Mutterschaf zwei kleine weiße Lämmchen. An ihren Bäuchen war noch die verkrustete Nabelschnur zu sehen.


Flügelpeter sah in seinem Traum ein hübsches Mädchen in einem grünen Lederkleid mit kleinen Flügeln. Sie sah fast genauso aus wie er. Das kleine Wesen flog aus einer fremden Höhle hinaus in den blauen Himmel. Unter ihrem Arm hing ein kleines Henkelkörbchen und sie segelte langsam wie ein Schmetterling in einen Wald hinunter. Dort landete sie inmitten der Bäume neben großen Blaubeerpflanzen, kniete sich auf den Waldboden und begann die Beeren in ihr Körbchen zu pflücken. Er hörte sogar im Traum, wie sie ein kleines Liedchen sang, lachte und dabei ihren Kopf auf die Seite legte. Flügelpeter erwachte und setzte sich in der Wanne auf. Er musste an das Mädchen denken. Wie schön sie war! Und sie war wie er - ein Flügelwesen. Noch nie hatte er ein anderes Flügelwesen gesehen oder jemals davon gehört, dass solche Wesen noch woanders lebten. Sie war so hübsch. Er konnte den Traum nicht vergessen. Nein, er wollte ihn nicht vergessen, denn so etwas Wunderbares hatte er noch nie geträumt. Flügelpeter stieg aus der Wanne, trocknete sich mit einem Handtuch ab, zog seinen blauen Schlafanzug an und legte sich in sein Bettchen. Er dachte an das hübsche Flügelmädchen und schlief ein. Diese Nacht hatte Peter einen weiteren Traum. Er lief durch einen Wald mit sehr großen und hoch gewachsenen Bäumen. Die Bäume waren so riesig, dass er ihre Wipfel nicht vom Waldboden aus erkennen konnte. Peter spürte das weiche Moos unter seinen kleinen Füßen. Plötzlich entdeckte er vor sich eine Lichtung. Der Boden war wieder voller Blaubeerpflanzen mit dicken leckeren Beeren an den kleinen Büschen. Peter kniete sich hin und pflückte eine Handvoll Beeren. Als er sie in seinen Mund stecken wollte und seinen Kopf dabei ein wenig in den Nacken legte, sah er über sich hoch oben das Flügelmädchen. Es schwebte in der Luft zwischen den Baumwipfeln und blickte zu ihm hinunter. Plötzlich winkte es ihm mit der linken Hand zu. Hatte das Mädchen ihn bemerkt? Aber das war doch alles nur ein Traum, dachte Flügelpeter und wunderte sich, dass er in einem Traum so etwas denken konnte. Ein Wachtraum, dachte er weiter und kurz darauf war er tatsächlich wach.


Plotsch - machte es direkt vor dem Höhleneingang. ‚Was für ein seltsames Geräusch!', dachte Flügelpeter, sprang aus seinem Bettchen und rannte nach draußen. Auf der Plattform neben der Quelle lag eine dicke runde Schlange und ein Teil ihres Schwanzes baumelte in der Luft. Peter packte den Hinterkörper und zog die Schlange auf den Felsvorsprung vor seiner Höhle hinauf. Dort war sie in Sicherheit. "Ja, wo kommst du denn her?", rief er ihr staunend zu. "Oh, ich habe solche Schmerzen!", stöhnte die Schlange und wand sich auf dem Felsen. Da bemerkte Peter, dass sie am Unterleib aus einer Wunde blutete. Ohne weiter zu fragen lief er in die Höhle und kam mit einem Verband und einem Steintöpfchen zurück. Er schmierte der Schlange eine Handvoll Wundsalbe auf die blutende Haut und umwickelte sie anschließend fest mit einem Verband. Ein kleiner Knoten noch und das Tier war verarztet. "Danke, mein lieber, kleiner, geflügelter Freund!", sprach die Schlange mit schwacher Stimme. "Jetzt will ich dir gerne berichten, was mir geschah. Mein Unglück begann kurz nach der Dämmerung. Ich war noch ganz steif und unbeweglich von der Kälte der Nacht, da spürte ich plötzlich einen stechenden Schmerz an meinem Rücken. Ehe ich mich versah, wurde ich nach oben gerissen und flog den Wolken entgegen. Du kannst dir meinen Schreck sicherlich vorstellen. Als ich den Kopf endlich drehen konnte, sah ich, dass mich ein großer Lämmergeier mit seinen Krallen festhielt. Der Flug ging immer höher hinauf und ich überlegte, wie ich mich aus dieser verzweifelten Lage befreien konnte. Schließlich gelang es mir, den Hals des Geiers zu erreichen und ich biss kräftig zu. Der Lämmergeier ließ mich fallen und ich landete hier auf der Felsplattform vor deiner Höhle!" "Das ist ja eine unglaubliche Geschichte!", staunte der Flügelpeter. "Ich habe noch nie gehört, dass Lämmergeier auch Schlangen fressen! Jetzt bleibst du erst einmal bei mir und ich werde dich pflegen. Später werden wir dann sehen, was wir mit dir machen!" Die Schlange und Peter wurden gute Freunde. Peter fütterte sie mit Eiern, Honig und Joghurt und nach wenigen Tagen war sie wieder gesund und wohlauf. "Wie soll ich nur die Felswand herunterkommen?", sorgte sich die Schlange. "Nichts leichter als das!", rief ihr Peter fröhlich zu. "Kriech hier in meinen kleinen Henkeleimer und ich werde dich ins Tal fliegen!" So geschah es dann auch. Die Schlange rollte sich in dem Holzeimerchen zusammen und sah darin fast aus wie ein Gartenschlauch. Dann nahm Flügelpeter den Henkel fest in beide Hände und flog so mit der Schlange bis ins Schäfertal hinunter. Er musste sich dabei sehr anstrengen und seine Flügel schneller als gewöhnlich bewegen, um mit dem großen Gewicht fliegen zu können. Aber alles ging gut. Die Schlange kroch aus dem Eimer, verabschiedete sich und gab Peter voller Dank für seine Hilfe einen Schlangenkuss, bei dem sie ihn mit ihrer kleinen Zunge in der Nase kitzelte. "Lebe wohl, kleine Schlange!", rief ihr Peter aus der Luft zu und er sah, dass sie bereits im Fluss ein erfrischendes Bad nahm. Ihre Wunde war anscheinend schon gut verheilt. Flügelpeter spürte eine freudige Wärme in seinem Herzen und schwebte mit den warmen Aufwinden immer höher hinauf den Wolken entgegen.


Viele Stunden flog Peter die Felswand entlang, bevor er zum Meer hinunterschwebte. Er landete auf dem Strand, ließ sich in den weichen Sand fallen und ruhte von der langen und anstrengenden Reise aus. Manchmal spülte ihm eine Welle über die Füße und plötzlich war er eingenickt. Da war es wieder: Das wunderschöne Flügelmädchen mit den langen Haaren. Es schwebte neben einer riesigen Felswand und nickte ihm im Traum zu. Dann lächelte es und deutete mit der Hand auf eine große Öffnung im Fels, die wie ein auf der Spitze stehendes Dreieck aussah. Flügelpeter schreckte aus seinem Traum auf - oder war es kein Traum, sondern die Wirklichkeit? War dieses Dreieck der Schlüssel, der Eingang zu dem Ort, wo das Flügelmädchen, vielleicht noch andere Flügelwesen wohnten? Wie sollte er diesen Ort nur finden? Peter flog weiter die Küste entlang. Unter sich entdeckte er einen merkwürdig geformten, gemusterten Stein, der fast kreisrund war. Er landete neben dem Gebilde und untersuchte es. Plötzlich schoben sich aus dem Stein ein dicker Kopf und vier Beine heraus. Es war eine riesengroße Meeresschildkröte, die sich in der Sonne ausruhte. "Na, du kleiner Flügelmann, was machst du denn hier?", fragte ihn die Schildkröte mit einer ruhigen und sanften Stimme. "Ach, Schildkröte, ich bin auf der Suche nach einem Flügelmädchen, ich habe es im Traum gesehen, neben einem dunklen Dreieck in einer Felswand!" "Da kann ich dir helfen, kleiner Flügelmann, ich bin nämlich schon sehr alt und das Dreieck kenne ich gut! Du wirst es finden, wenn du immer weiter an der großen Felswand des Gebirges entlangfliegst. Halte nur deine kleinen Augen offen!", lachte die Meeresschildkröte. "Ich habe wirklich immer Glück!", dachte Peter und dankte der Schildkröte für ihre Hilfe. Er verbrachte die Nacht unter einem großen Olivenbaum und setzte seine Reise am frühen Morgen mit frohem Mut fort.



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